Gut, musikalisch hat heute Osna die Nase vorn:
Top oder Flop: Frank Cordes – Du und ich und er und sie
Der Name, der nicht genannt werden darf
Manchmal ist das, was das Käseblättchen so bringt, schon unfassbar:
Die braune Brut schwappt wütend durch die Nacht. Sie flutet die Straße vor der Synagoge und spült Hass und Pflastersteine durch berstende Fensterscheiben hinein. Möbel splittern. Der Toraschrein liegt in Trümmern, doch das reicht den Nazis nicht, sie wollen auch Menschen in Trümmern sehen. Die Nazis johlen. Ihre Nacht – ihre Jagd – hat erst begonnen. So oder ähnlich wird es gewesen sein.
Öh, ja. Und ein dunkler Wagen bretterte mit quietschenden Reifen Staub aufwirbelnd um die Straßenecke. So oder so ähnlich eben wird’s gewesen sein, oder ganz anders — wen interessiert das schon genau? Der Schrecken der Zeit des Nationalsozialismus in Ibbenbüren ist wohl für sich genommen noch nicht so dramatisch, da muss man sprachlich mit den Mitteln des Billigkriminalromans nochmal nachhelfen, ganz egal wie sehr das den eigentlichen Gegebenheiten entspricht oder nicht. Geht’s eigentlich noch? Damals hatte ich das noch für eine Eintagsfliege gehalten. Aber darüber wollte ich’s gar nicht haben.
Bei so mancher Lokalzeitung ist man ja schon über jedes extravagante Thema glücklich, das man bringen kann, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Es ist im Grunde auch nicht ganz verkehrt, 70 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz an diese Zeit zu erinnern. Aber es kann doch nicht nur darum gehen, eine alte Geschichte zu erzählen. Was für Folgen hatte denn die Zeit oder ist sie mit dem Ende des Wohnens jüdischer Mitbürger in Ibbenbüren abgeschlossen? Und was ist eigentlich mit den nichtjüdischen Opfern des Nationalsozialismus in Ibbenbüren? Wieso fallen die permanent unter den Tisch?
Aber darüber wollte ich’s auch nicht haben. Wenn man schon über das Thema schreibt und eine Liste jüdischer Opfer veröffentlicht, dann hätte man sich vielleicht auch die Mühe machen sollen, die richtige Schreibweise der Namen und den aktuellen Kenntnisstand über den Verbleib der Opfer, den man auch im Internet findet, zu recherchieren. Früher hieß das mal journalistische Sorgfaltspflicht. Aber darüber wollte ich’s auch nicht haben.
Mir geht es um den letzten Absatz:
Der Hopstener Joseph Davids hat in Amerika überlebt. Er erhob später Anklage gegen den Anführer des braunen Mobs. „Es ist mir bekannt geworden, dass er noch sein Geschäft in Ibbenbüren betreibt und unbelästigt seiner Wege geht.“ Der Mann wurde nie zur Rechenschaft gezogen.
Dass auch hier ein Opfer falsch geschrieben wird, ja, so ist das dann wohl. Man kann ja schon froh sein, dass da nicht steht, dass er mit kaltem Schweiss auf der Stirn und brüchiger Stimme wütend Anklage erhoben hat. So oder anders hätte es ja auch sein können. Aber wir schreiben das Jahr 2015 und in diesem Text wird der vermeintliche Täter nicht namentlich genannt, das ist doch interessant. Weil Hermann Dillhoff der Gründer des heutigen Modehauses Dillhoff ist?
Man müsste gar nicht unbedingt über ihn schreiben. Schließlich wurde er seitens der Strafbehörden zur Rechenschaft gezogen. Nur sah es für die Zuständigen auf britischer und deutscher Seite offenbar so aus, dass ihm nicht genug für eine Anklage nachgewiesen werden konnte.
Man kann einem Verdächtigen nicht vorhalten, wenn das Rechtssystem nicht greift. Man kann das Rechtssystem hierfür kritisieren. Ein vernünftiger Grund, den Namen des Verdächtigen zu verheimlichen, wenn man dieses Thema aufgreift, ist mir allerdings nicht ersichtlich.
Neu im Bücherschrank (78): Akif Pirinçci — Felidae
Mir gefällt dieser Katzenrkimi eigentlich immer noch, auch wenn der Autor in letzter Zeit gerne preis gibt, dass sein Weltbild von massiver Unterbelichtung getrübt ist. Aber sei’s drum, man muss ihn nicht lesen, man muss ihn nicht mögen, und man muss auch nicht glauben, dass Schriftsteller außerhalb ihrer Romanwelten sinnvolle Sachen von sich geben.
Schöner Stolpern (2): Vorauseilendes Stolpern
Wer hätte gedacht, dass man in Ibbenbüren so oft über Stolpersteine stolpert, die noch gar nicht da sind. Ein Leserbriefschreiber in der IVZ ist gestern mit einer Logik an die Öffentlichkeit getreten, die mich schon baff macht: Die Stolpersteine haben keine nachhaltige Wirkung, da
das Lesen der Viten [auf den Stolpersteinen] eher unrealistisch ist. Im Gegenteil, die Menschen gehen nach meiner Beobachtung zumeist achtlos darüber oder vorbei.
Dagegen störten Stolpersteine vehement das Befinden jüdischer Mitbürger. Deswegen sei es
sinnvoller — um jedwede Befindlichkeit zu verbeiden — Stolpersteine konsequent abzulehnen und Wandtafeln oder Stelen zu präferieren.
Stolpersteine wären eine Supersache, wenn niemand an Ihnen Anstoß finden würde.
Aber statt Stolperstein pauschal abzulehnen, sollte man dann vielleicht doch sachlich diskutieren: Der Leserbriefschreiber führt ohne Beleg an, dass viele jüdische Gemeinden das Stolperstein-Projekt ablehnten. Es gibt keine repräsentative Umfrage hierfür. Es gibt sicherlich in einigen Gemeinden Gegner dieser Aktion, so wie es eine Großzahl an Befürwortern gibt. Die Quantität ist hier nicht entscheidend, die Stichhaltigkeit von Argumenten schon eher.
Und da sollte man einbeziehen, dass es in diversen deutschen Städten diese Stolpersteine gibt, ohne dass Vandalismus gegenüber der positiven Resonanz des Projektes Überhand genommen hätte. Ansonsten wäre die Idee auch gar nicht bis Ibbenbüren geschwappt.
Christian Moll ist Bürgermeisterkandidat
Der Vorstand der CDU Ibbenbüren hat sich für Christian Moll, Inhaber der Spedition Moll, als Bürgermeisterkandidaten ausgesprochen. Ob der von der Jungen Union vorgeschlagene Karl-Heinz Hagedorn jetzt noch im Rennen ist, ist unbekannt. Aber eigentlich sollte sich die Junge Union ja was bei ihrem Vorschlag gedacht haben.
Personell ist das eine gute Entscheidung: Der Ortsverband der CDU hat es in den letzten Jahren nicht geschafft, einen passenden Kandidaten aufzubauen. Für Einige in der CDU, deren Profil für eine Bürgermeisterkandidatschaft passend wäre, ist dieses Amt, von dem man nicht weiß, wie sicher man es lange inhaben kann, zu unsicher, um eine Kandidatur anzustreben. Und so gesehen ist es richtig, über den Tellerrand zu schauen.
Christian Moll verkörpert jemanden mit Wirtschaftserfahrung, Politikerfahrung, ist nicht zu alt, redegewandt, plakattauglich, familientauglich und hat kein zu konservatives Profil. Ich bin fast geneigt, diesen Vorschlag einen Coup zu nennen, aber man sollte wohl noch die Entscheidungsfindung innerhalb der CDU abwarten und schauen, wie er seinen Bekanntheitsgrad steigert.
Wer Christian Moll persönlich kennenlernen möchte, so schreibt die CDU, ist am 18.01.2015 um 11.00 Uhr herzlich zum Neujahrsempfang der CDU Ibbenbüren in den Räumen der Firma Sideka an der Talstrasse eingeladen.
Zeitgleich fällt gerade auf, dass man bei der CDU das Design etwas verändert hat. Grundsätzlich schon mal besser geworden, die Navigationsleiste macht einen freundlichen, leicht zugänglichen Eindruck, responsives Design ist auch okay, aber Inhalte und passende Schriftart fehlen da noch.
Bürgermeisterrennen eröffnet
Nachdem Marc Schrameyer letztes Jahr seinen Hut bei der SPD in den Ring geworfen hat, hat die Junge Union bestätigt, was die Spatzen schon länger von den Dächern gepfiffen haben: Karl-Heinz Hagedorn ist bei der CDU im Rennen. Ob anstelle oder als Konkurrent von Ulrich Remke, der doch bemerkenswert oft bis zum Herbst im Lokalblättchen abgelichtet worden ist, ist unklar.
Ebenso unklar ist, wie weit die Unterstützung dieses neuen Kandidaten seitens der CDU Ibbenbüren geht, sollte Ulrich Remke auch im Rennen sein. Denn das Profil von Karl-Heinz Hagedorn deckt sich mit dem Ulrich Remkes: Verwaltungserfahrung, vergleichbarer Bekanntheitsgrad, zumindest gebürtiger Ibbenbürener, nach einer Wahlperiode im Rentenalter. Remke hat sich bei der letzten Wahl gegen Amtsinhaber Steingröver beachtlich aus der Affäre gezogen und sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei einer kaum zu gewinnenden Wahl geliefert. Dagegen ist Hagedorn bei der CDU-internen Wahl zur Kandidatur für den Bundestag gegen Anja Karliczek sang- und klanglos untergegangen.
Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja auch noch weitere Vorschläge gegen Marc Schrameyer, der auch erst noch aus der Deckung kommen muss.
Neu im Bücherschrank (76): Theodor W. Adorno — Philosophie der neuen Musik
An Adornos Philosophie hat mir immer eine zwingende Begründung seiner Annahmen gefehlt, in diesem ersten Werk zur Musik, einer ausspielenden Befassung der Komponierkunst derer von Arnold Schönberg und der von Igor Strawinsky, nicht minder.
Lesezeichen
Schöner Stolpern
In Ibbenbüren ist das Stolpersteinprojekt angestoßen worden. Und da das Projekt zum Stolpern quasi animieren soll, legt man bei der IVZ am Samstag gleich vor:
Lang ist es her, werden so manche stöhnen. Was geht mich das an, ich war nicht dabei, ich bin nicht schuld. Darum geht es nicht. Es geht um Rassismus.
Äh, nein. Es geht um Antisemitismus, und der ist keine Unterform von Rassismus — solange man nicht das Vokabular der Nationalsozialisten verwenden möchte oder jüdisch für eine genetische Eigenschaft hält. Es geht aber auch um die Gleichheit der Personen vor dem Gesetz, scheint auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht überall für voll genommen worden zu sein:
Kriminalpolizeiwachtbeister Gattner kam am 21. Februar 1950 zu dem Schluss, dass die Täter des Progroms in Hopsten nicht eindeutig identifiziert werden konnten und dass die verursachten Schäden “gegenüber anderen Städten in keinem Verhältnis gestanden haben” (Lars Boesenberg, Jürgen Düttmann, Norbert Ortgies, Machtsicherung, Ausgrenzung, Verfolgung: Nationalsozialismus und Judenverfolgung in Ibbenbüren, mit einem Beitrag von Marlene Klatt und Rita Schlautmann-Overmeyer, Historischer Verein Ibbenbüren, S. 94)
Stolpern war gar nicht notwendig, denn Gernold Mudrack hatte in derselben Ausgabe mit Verve vorgelegt:
Es sind eine ganze Menge Initiativen im Sande verlaufen, weil der lange Atem und der notwendige Biss fehlten. Es gab auch Vorbehalte: Könnten wir Ärger kriegen mit Leuten, denen nachgesagt wird, sie hätten sich an jüdischem Eigentum vergriffen? Dann fällt ein schlechtes Licht auf seriöse und angesehene Mitbürger, und das wollen wir doch nicht… Im Grunde: Es ist verzögert worden.
Das ist in der Tat in ganz kurz die Vorgeschichte einiger bisheriger Versuche der Aufarbeitung Ibbenbürener Geschichte von privater Seite. Übersetzt heisst das: Wie groß ist die Gefahr, von bestimmten Personen verklagt zu werden? Manchmal sind derartige Personen ja finanziell auch so gut ausgestattet oder so erbost, dass eine wenig Erfolg versprechende Klage angestrebt wird, nur um den Beklagten zu schaden.
Klageandrohungen funktionieren sicher auch als Druckmittel nicht schlecht. Seit 2009 ist allein dieses Blog mit Klageandrohungen mit angeblichen Streitwerten bis unterm Strich über 300.000 € konfrontiert worden. Vor Gericht ist noch niemand gegangen.
Um beim Thema Nationalsozialismus zu bleiben: Während die Stadt Ibbenbüren finanzieller Forderungen ehemaliger jüdischer Bürger nachkam, sahen Bürger dies anders:
Andere “Käufer” arisierter Immobilien waren nicht so einsichtig, vor allem wurde in der frühen Nachkriegszeit der Zusammenhang zwischen Judenverfolgung und Arisierung teilweise heftig bestritten. Ehemalige “Ariseure”, also “Aufkäufer” jüdischer Immobilien, stellen sich als, Opfer der Zeit und der damaligen Rechtslage dar, verweisen auf das NS-System oder die Kriegszeit und lehnen eigene Verantwortung vehement ab (Freund, Susanne; Jakobi, Franz-Josef; Johanek, Peter; Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Westfalen und Lippe, Ardey-Verlag, 2008, S. 421f.)
Man darf gespannt sein, ob die Stolpersteine sich so einfach verlegen lassen.