Gestern mailte mir die Mutter eines einigermaßen bekannten Rappers, wieso ich denn immer so negativ über ihren Sohn schriebe. Ich antwortete, sobald er weniger frauenfeindliche Texte schriebe, schriebe ich, dass er weniger frauenfeindliche Texte schriebe. Sie beklagte sich allerdings auch über die mangelhafte Anerkennung, die er in Ibbenbüren habe, schließlich sei er doch einer der größten Musiker der Stadt. Ich fragte, wie das denn gemeint sei, immerhin hätten Künstler aus Ibbenbüren schon einen Grammy erhalten. Die hätten aber in 8 Jahren bei einem YouTube-Video nur 4,7 Mio. Zugriffe, ihr Sohn habe schon 1,6 Mio. innerhalb eines Jahres.
Es gibt wohl keinen anderen Dienst im Internet, der über Zahlen für eine solche Verblendung sorgt, wie YouTube. Es wird gerne unkritisiert über die unter einem Video verzeichneten Anlickzahlen geredet, in die aber auch aufgenommen wird, wenn sich jemand für eine Sekunde auf der Seite aufhält. Oder eben auch, wenn die Seite automatisch aufgerufen wird, auch wenn kein Mensch sie zu diesem Zeitpunkt betrachtet. Kurzum: Was die Zahlen genau bedeuten, weiß keiner.
Aus den USA ist in den letzten Jahren der Trend nach Deutschland gekommen, schnell geschnittene und mitunter brüllend vorgetragene Videos für YouTube zu erstellen. U.a. wohl auch deshalb, weil diese Videos viele Klicks erzielen.
Markus Herrmann hat gerade ein Kurzportrait über den YouTuber Sami Slimani geschrieben, der diesen, aber auch generell das Phänomen YouTube-Blogger gut beschreibt:
Während man zu Zeiten der ersten Schritte von Online-Videos noch darauf kam, dass Videos nicht länger als 3 Minuten sein sollten ist man mittlerweile scheinbar dabei angekommen, DASS MAN SEINE ZUSCHAUER ANSCHREIEN SOLLTE UND TAUSEND SCHNITTE UND ZICKZACKHICKHACK AHHHHHHHHHH!!! Klar, ich muss mir das ja nicht anschauen, mache es aber trotzdem immer mal wieder gern, weil ich es einfach interessant finde, was da so passiert. Und vielleicht auch aus Erschrecken darüber, wie scheiße und trotzdem erfolgreich Sachen sein können, nur weil man eben auch als großer YouTuber immer noch sagen kann, man wäre „einer von euch da draußen und ohne euch da draußen nie so weit gekommen abonnierenundlikenplz“.
[Foto: Adam Jackson | Lizenz: CC 2.0]