Schöner Stolpern (2): Vorauseilendes Stolpern

Wer hätte gedacht, dass man in Ibben­büren so oft über Stolper­steine stolpert, die noch gar nicht da sind. Ein Leser­brief­schreiber in der IVZ ist gestern mit ein­er Logik an die Öffentlichkeit getreten, die mich schon baff macht: Die Stolper­steine haben keine nach­haltige Wirkung, da

das Lesen der Viten [auf den Stolper­steinen] eher unre­al­is­tisch ist. Im Gegen­teil, die Men­schen gehen nach mein­er Beobach­tung zumeist acht­los darüber oder vorbei.

Dage­gen störten Stolper­steine vehe­ment das Befind­en jüdis­ch­er Mit­bürg­er. Deswe­gen sei es

sin­nvoller — um jed­wede Befind­lichkeit zu ver­bei­den — Stolper­steine kon­se­quent abzulehnen und Wandtafeln oder Ste­len zu präferieren.

Stolper­steine wären eine Super­sache, wenn nie­mand an Ihnen Anstoß find­en würde.

Aber statt Stolper­stein pauschal abzulehnen, sollte man dann vielle­icht doch sach­lich disku­tieren: Der Leser­brief­schreiber führt ohne Beleg an, dass viele jüdis­che Gemein­den das Stolper­stein-Pro­jekt ablehn­ten. Es gibt keine repräsen­ta­tive Umfrage hier­für. Es gibt sicher­lich in eini­gen Gemein­den Geg­n­er dieser Aktion, so wie es eine Großzahl an Befür­wortern gibt. Die Quan­tität ist hier nicht entschei­dend, die Stich­haltigkeit von Argu­menten schon eher.

Und da sollte man ein­beziehen, dass es in diversen deutschen Städten diese Stolper­steine gibt, ohne dass Van­dal­is­mus gegenüber der pos­i­tiv­en Res­o­nanz des Pro­jek­tes Über­hand genom­men hätte. Anson­sten wäre die Idee auch gar nicht bis Ibben­büren geschwappt. 

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Schöner Stolpern

In Ibben­büren ist das Stolper­stein­pro­jekt angestoßen wor­den. Und da das Pro­jekt zum Stolpern qua­si ani­mieren soll, legt man bei der IVZ am Sam­stag gle­ich vor:

Lang ist es her, wer­den so manche stöh­nen. Was geht mich das an, ich war nicht dabei, ich bin nicht schuld. Darum geht es nicht. Es geht um Rassismus. 

Äh, nein. Es geht um Anti­semitismus, und der ist keine Unter­form von Ras­sis­mus — solange man nicht das Vok­ab­u­lar der Nation­al­sozial­is­ten ver­wen­den möchte oder jüdisch für eine genetis­che Eigen­schaft hält. Es geht aber auch um die Gle­ich­heit der Per­so­n­en vor dem Gesetz, scheint auch nach dem Zweit­en Weltkrieg nicht über­all für voll genom­men wor­den zu sein:

Krim­i­nalpolizei­wacht­beis­ter Gat­tner kam am 21. Feb­ru­ar 1950 zu dem Schluss, dass die Täter des Progroms in Hop­sten nicht ein­deutig iden­ti­fiziert wer­den kon­nten und dass die verur­sacht­en Schä­den “gegenüber anderen Städten in keinem Ver­hält­nis ges­tanden haben” (Lars Boe­sen­berg, Jür­gen Düttmann, Nor­bert Ort­gies, Macht­sicherung, Aus­gren­zung, Ver­fol­gung: Nation­al­sozial­is­mus und Juden­ver­fol­gung in Ibben­büren, mit einem Beitrag von Mar­lene Klatt und Rita Schlaut­mann-Over­mey­er, His­torisch­er Vere­in Ibben­büren, S. 94)

Stolpern war gar nicht notwendig, denn Ger­nold Mudrack hat­te in der­sel­ben Aus­gabe mit Verve vorgelegt:

Es sind eine ganze Menge Ini­tia­tiv­en im Sande ver­laufen, weil der lange Atem und der notwendi­ge Biss fehlten. Es gab auch Vor­be­halte: Kön­nten wir Ärg­er kriegen mit Leuten, denen nachge­sagt wird, sie hät­ten sich an jüdis­chem Eigen­tum ver­grif­f­en? Dann fällt ein schlecht­es Licht auf ser­iöse und ange­se­hene Mit­bürg­er, und das wollen wir doch nicht… Im Grunde: Es ist verzögert worden.

Das ist in der Tat in ganz kurz die Vorgeschichte einiger bish­eriger Ver­suche der Aufar­beitung Ibben­büren­er Geschichte von pri­vater Seite. Über­set­zt heisst das: Wie groß ist die Gefahr, von bes­timmten Per­so­n­en verk­lagt zu wer­den? Manch­mal sind der­ar­tige Per­so­n­en ja finanziell auch so gut aus­ges­tat­tet oder so erbost, dass eine wenig Erfolg ver­sprechende Klage angestrebt wird, nur um den Beklagten zu schaden. 

Klage­an­dro­hun­gen funk­tion­ieren sich­er auch als Druck­mit­tel nicht schlecht. Seit 2009 ist allein dieses Blog mit Klage­an­dro­hun­gen mit ange­blichen Stre­itwerten bis unterm Strich über 300.000 € kon­fron­tiert wor­den. Vor Gericht ist noch nie­mand gegangen.

Um beim The­ma Nation­al­sozial­is­mus zu bleiben: Während die Stadt Ibben­büren finanzieller Forderun­gen ehe­ma­liger jüdis­ch­er Bürg­er nachkam, sahen Bürg­er dies anders:

Andere “Käufer” arisiert­er Immo­bilien waren nicht so ein­sichtig, vor allem wurde in der frühen Nachkriegszeit der Zusam­men­hang zwis­chen Juden­ver­fol­gung und Arisierung teil­weise heftig bestrit­ten. Ehe­ma­lige “Ariseure”, also “Aufkäufer” jüdis­ch­er Immo­bilien, stellen sich als, Opfer der Zeit und der dama­li­gen Recht­slage dar, ver­weisen auf das NS-Sys­tem oder die Kriegszeit und lehnen eigene Ver­ant­wor­tung vehe­ment ab (Fre­und, Susanne; Jako­bi, Franz-Josef; Johanek, Peter; His­torisches Hand­buch der jüdis­chen Gemein­den in West­falen und Lippe, Ardey-Ver­lag, 2008, S. 421f.)

Man darf ges­pan­nt sein, ob die Stolper­steine sich so ein­fach ver­legen lassen.

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