Ich sehe was, was du nicht siehst (2)

Ich hat­te beim Text über eine ange­bliche Ter­rorzelle in Ibben­büren schon über die jour­nal­is­tis­che Arbeit hin­ter den besproch­enen Tex­ten geäußert:

Was in diesen Tex­ten bloßes Gerücht ist, was Infor­ma­tion des Ver­fas­sungss­chutzes, was eine Tat­sache, was der Phan­tasie des Autors entspringt — das alles gibt sich die Klinke in die Hand.

Und auf diese Tour macht man bei der IVZ bezüglich des Todes eines IS-Kämpfers (Link auf von der WN über­nomme­nen Artikel), der ver­mut­lich aus Ibben­büren stammt munter weiter:

Von dem Mann existiert ein Foto, das ihn mit ein­er Schuss­wunde im Kopf zeigt. Er wurde nach Medi­en­bericht­en in einem Dorf fünf Kilo­me­ter südöstlich von Kobane, dem lange umkämpften Gren­zort zur Türkei, ermordet.

Nach Protesten auf der Seite der WN hat man es doch für sin­nvoller gehal­ten, in der gedruck­ten Aus­gabe nicht von “ermordet”, son­dern von “getötet” zu reden. Es existieren im Inter­net Fotos vom Getöteten (Ver­linkung unterbleibt). Allerd­ings zeigen sie keine Schuss­wunde im Kopf*. Von ein­er der­ar­ti­gen Wunde ist außer bei der IVZ wed­er in der dpa-Mel­dung noch in türkischen Medi­en die Rede.

Sein Kampf­name sei Abdul Dsch­aber al-Tur­ki gewesen.

Laut türkischen Medi­en war sein Kampf­name Abdul­cab­bar El Tur­ki. Das kann ich von hier aus nicht ver­i­fizieren, nur taucht der in deutschen Medi­en ver­wen­dete Name unab­hängig vom dpa-Bericht nicht auf.

Der Getötete hat­te eine Lehre als Elek­trik­er gemacht und soll sich vor einein­halb Jahren radikalisiert haben. dafür soll auch eine Gruppe in Ibben­büren ver­ant­wortlich sein.

Denn wenn man sel­ber so ein Gerücht ohne Nach­weis in der Öffentlichkeit bre­it­tritt, sollte man das mal wieder­holen, auch wenn es schon mas­siv kri­tisiert wor­den ist — was man dann aber bess­er verschweigt.

Die Leser-Kri­tik fol­gt dann auch auf dem Fuß:

Entwed­er Sie sind ein Ahnungslose Berichter­stat­terin oder haben Sie von der Türkei ein Som­merurlaub Gutschein erhal­ten um Tat­sachen bewusst umdrehen.

* 12.05.2015: Inzwis­chen sind mir Fotos zuge­sendet wor­den, die einen Getöteten mit Schuss­wunde zeigen. Dies kön­nte der Betrof­fene sein.

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Der Name, der nicht genannt werden darf

Manch­mal ist das, was das Käse­blättchen so bringt, schon unfassbar:

Die braune Brut schwappt wütend durch die Nacht. Sie flutet die Straße vor der Syn­a­goge und spült Hass und Pflaster­steine durch bers­tende Fen­ster­scheiben hinein. Möbel split­tern. Der Toraschrein liegt in Trüm­mern, doch das reicht den Nazis nicht, sie wollen auch Men­schen in Trüm­mern sehen. Die Nazis johlen. Ihre Nacht – ihre Jagd – hat erst begonnen. So oder ähn­lich wird es gewe­sen sein. 

Öh, ja. Und ein dun­kler Wagen bret­terte mit qui­etschen­den Reifen Staub aufwirbel­nd um die Straße­necke. So oder so ähn­lich eben wird’s gewe­sen sein, oder ganz anders — wen inter­essiert das schon genau? Der Schreck­en der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus in Ibben­büren ist wohl für sich genom­men noch nicht so drama­tisch, da muss man sprach­lich mit den Mit­teln des Bil­ligkrim­i­nal­ro­mans nochmal nach­helfen, ganz egal wie sehr das den eigentlichen Gegeben­heit­en entspricht oder nicht. Geht’s eigentlich noch? Damals hat­te ich das noch für eine Ein­tags­fliege gehal­ten. Aber darüber wollte ich’s gar nicht haben.

Bei so manch­er Lokalzeitung ist man ja schon über jedes extrav­a­gante The­ma glück­lich, das man brin­gen kann, ohne in Schwierigkeit­en zu ger­at­en. Es ist im Grunde auch nicht ganz verkehrt, 70 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz an diese Zeit zu erin­nern. Aber es kann doch nicht nur darum gehen, eine alte Geschichte zu erzählen. Was für Fol­gen hat­te denn die Zeit oder ist sie mit dem Ende des Wohnens jüdis­ch­er Mit­bürg­er in Ibben­büren abgeschlossen? Und was ist eigentlich mit den nichtjüdis­chen Opfern des Nation­al­sozial­is­mus in Ibben­büren? Wieso fall­en die per­ma­nent unter den Tisch?

Aber darüber wollte ich’s auch nicht haben. Wenn man schon über das The­ma schreibt und eine Liste jüdis­ch­er Opfer veröf­fentlicht, dann hätte man sich vielle­icht auch die Mühe machen sollen, die richtige Schreib­weise der Namen und den aktuellen Ken­nt­nis­stand über den Verbleib der Opfer, den man auch im Inter­net find­et, zu recher­chieren. Früher hieß das mal jour­nal­is­tis­che Sorgfalt­spflicht. Aber darüber wollte ich’s auch nicht haben.

Mir geht es um den let­zten Absatz:

Der Hop­sten­er Joseph Davids hat in Ameri­ka über­lebt. Er erhob später Anklage gegen den Anführer des braunen Mobs. „Es ist mir bekan­nt gewor­den, dass er noch sein Geschäft in Ibben­büren betreibt und unbelästigt sein­er Wege geht.“ Der Mann wurde nie zur Rechen­schaft gezogen.

Dass auch hier ein Opfer falsch geschrieben wird, ja, so ist das dann wohl. Man kann ja schon froh sein, dass da nicht ste­ht, dass er mit kaltem Schweiss auf der Stirn und brüchiger Stimme wütend Anklage erhoben hat. So oder anders hätte es ja auch sein kön­nen. Aber wir schreiben das Jahr 2015 und in diesem Text wird der ver­meintliche Täter nicht namentlich genan­nt, das ist doch inter­es­sant. Weil Her­mann Dill­hoff der Grün­der des heuti­gen Mod­e­haus­es Dill­hoff ist? 

Man müsste gar nicht unbe­d­ingt über ihn schreiben. Schließlich wurde er seit­ens der Straf­be­hör­den zur Rechen­schaft gezo­gen. Nur sah es für die Zuständi­gen auf britis­ch­er und deutsch­er Seite offen­bar so aus, dass ihm nicht genug für eine Anklage nachgewiesen wer­den konnte.

Man kann einem Verdächti­gen nicht vorhal­ten, wenn das Rechtssys­tem nicht greift. Man kann das Rechtssys­tem hier­für kri­tisieren. Ein vernün­ftiger Grund, den Namen des Verdächti­gen zu ver­heim­lichen, wenn man dieses The­ma auf­greift, ist mir allerd­ings nicht ersichtlich.

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