Tschüß, Werthi!

Fußballer wür­den vielle­icht sagen: Er hat die Hütte noch mal voll gemacht. Gestern war die Beerdi­gung von Werthi und in der vollen St. Mau­ri­tius-Kirche standen noch mehr als hun­dert Men­schen hin­ter den Bänken. Das ver­wun­dert etwas, denn der beschriebene Lebensweg klang gar nicht so außeror­dentlich: Begeis­tert­er Fußballer, Karneval­ist, Jugend­be­treuer, Handw­erk­er, Papa. Auf Face­book habe ich schon ein kurzes Abschiedswort geschrieben, wonach von vie­len, die ihn nicht kan­nten, die Frage kam: Wer ist Werthi?

Ich habe Werthi als klein­er Stepp­ke ken­nen gel­ernt. Mein klein­er Brud­er und ich waren Fans der Her­ren­fußballer von Armi­na, schlichen uns an Spielt­a­gen durch den Hin­terein­gang rein, um das Ein­tritts­geld zu sparen, ran­nten als Balljun­gen den Led­erkugeln hin­ter­her. Als Lad­ber­gen mal mit einem ziem­lich kleinen Torhüter antrat, schrien wir immer, wenn Tor­raumge­fahr bestand: “Nach oben! Nach oben!” auf’s Spielfeld. Wir woll­ten nicht auf­fall­en, wir hat­ten ja nicht bezahlt, und das klappte bei den Her­ren­fußballern auch ganz gut. Die fan­den sich meist selb­st ziem­lich toll, alles ziem­lich maskulin­isiert, wen inter­essierten da die Jungs am Rand? Wir spiel­ten ja nicht mal Fußball, nur Tis­chten­nis. Ich habe noch heute im Ohr, wie die Män­ner mit ihren klack­ern­den Stol­len­schuhen den Weg zum Spielfeld run­ter­stak­sel­ten. Hörte sich an, als wären es teuere Turnierpferde.

Irgend­wann fiel ein­er auf. Der hat­te immer gute Laune, einen stechen­den Blick, ein gewin­nen­des Lächeln, Unmen­gen dum­mer Sprüche auf Lager. Wenn zwei Mannschaften aneinan­der vor­beitra­bten, und Werthi war mit dabei, war das immer ein großes Hal­lo unter den Jungs: Gruß, dum­mer Spruch, Gelächter. Werthi war der Son­nen­schein, ger­ade an trüben Tagen. Und dann stand man als Stepp­ke da so am Rand, beobachtete die Män­nerrituale, als Werthi mit­ten­drin an einem vor­beikam, schon konzen­tri­ert auf das anste­hende Spiel, einen anschaute und ganz nor­mal sagte: “Hi!” Da war man etwas baff, denn: Der musste einen ja gar nicht grüßen. Man war ja nur irgen­dein Kind, das da rum­stand, ohne große Bedeu­tung oder sowas. Luft. Als Kind in den 80ern war man gerne mal raus, wenn Erwach­sene rede­ten oder die coolen, großen Jungs coole Große­jungssachen macht­en. Werthi durch­brach gesellschaftlich­es Gehabe mal eben und war ein­fach ein, wie der West­fale sagt, fein’ Kerl.

West­falen und Grüßen ist ja so ein Ding. Ken­nen Sie das, wenn man jeman­den, den man irgend­wie ken­nt, begeg­net, und man weiß nicht recht, grüßt man oder grüßt man nicht, und wenn man selb­st grüßt, der aber nicht, fühlt sich das irgend­wie doof an, man wollte ja nie­man­den grüßen, der zu arro­gant ist zurück­zu­grüßen. Alles nicht so ein­fach. Durch die Innen­stadt von Ibben­büren zu gehen und nicht grüßen zu müssen, also im Grunde sich anonym ver­hal­ten kön­nen, kann ganz nett sein. 

Kon­nte man bei Werthi knick­en. Als ich längst woan­ders studiert habe, grüßte und quatschte man kurz, als wüsste Werthi immer ganz genau, wen er da vor sich hat. Und unsere­ins dachte oft: Witzig, der muss einen ja gar nicht grüßen. Jemand, der so bekan­nt ist, kön­nte einen ja ein­fach arro­gant ignori­eren oder ein­fach vergessen wie andere das machen. Wer bin ich schon?

Werthi schenk­te gute Laune, Aufmerk­samkeit und das Gefühl, dass Dinge beson­ders sind — für Leute, die sich auf dieser Welt eher unbeson­ders fühlen. Der Bedarf an sowas ist heute ziem­lich groß, Werthi verkör­perte das schon in den 80ern. Der war mod­ern. Große Welt in Schierloh.

Meine Kinder mögen an mir einen unkon­ven­tionellen Umgang: Dumme Sprüche, Spiel­ereien, ange­brachte Ern­sthaftigkeit, Quatsch machen, Aufmerk­samkeit bekom­men, ernst genom­men wer­den. Meine Kinder has­sen an mir Wenn man sowas nicht mit­bekommt, holt man sich das von Vor­bildern. Wenn ich darüber nach­denke, wo ich bes­timmten päd­a­gogis­che Umgang eigentlich her­habe, dann denke ich an amerikanis­che Fernseh-Dads wie Cliff Huxtable, Dan Con­nor und Jason Seaver, so wie an per­sön­liche Erfahrun­gen mit Alexan­der Loba, Eddie Michel, Rob Mul­der und eben Werthi für: Sei ein­fach und greif­bar für andere. Behan­dle sie nicht wie Luft. Und wenn jemand geht, sag, dass er ver­dammt noch mal fehlt.

Manch­mal wird man gelobt, dass man auch so witzig sei, so aufmerk­sam, so viel Hal­tung mit­bringe und dumme Sprüche. Und man selb­st denkt sich, ach naja, das hab ich von dem geklaut, das von dem und so weit­er. Ziem­lich coole Typen, die sollte ihr mal ken­nen lernen.

Deswe­gen, und es ist bit­ter, das nicht zu Lebzeit­en gesagt zu haben:

Danke, Werthi! Es war mir eine Ehre.

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