Kommen wir nun zur Verleihung des Mario-Barth-Preises für hemmungslos vergeigten Aufklärungsjournalismus. Er geht in diesem Jahr, etwas überraschend, in der Sparte Ibbenbüren an die Neue Osnabrücker Zeitung für den Artikel “79-Jährige auf Friedhof vergewaltigt: Prozess beginnt Dienstag”.
Die Neue Osnabrücker Zeitung hat fünf Monate nach einer Vergewaltigung auf einem Friedhof eine Journalistin und einen Fotografen zu besagtem Friedhof geschickt, um vor Ort Stimmungen einzufangen, wobei diese auf die schmutzige Scheibe einer Übersichtstafel stießen, sowie auf einen zufällig anwesenden Friedhofsbesucher, der eine Grabstätte sauber machte. Zwei Gegebenheiten, die mit dem eigentlichen Thema nicht im Geringsten etwas zu tun haben. Und nicht nur das:
Zwei steinerne Engel wenden der Wiese ihre Rücken zu.
Und hätte die Journalistin genauer hin geschaut, hätte sie am Himmel auch eine blaue Telefonzelle rumfliegen sehen.
Wie eine kleine Lichtung liegt sie da, eingerahmt von Gräbern. Das kalte, nasse Moos bedecken braune Eichenblätter. Vögel zwitschern, in der Ferne rauschen Autos vorbei. Eine Kirchenglocke läutet.
In China fällt ein Sack Reis um. Erschütternd, was daraus geschlossen wird:
Heute erinnert nichts mehr an die Tat.
Was die Journalistin wohl gerne gesehen hätte? Die Szenerie ist in etwa so trostlos wie die Berufsauffassung der beiden Journalisten, die gerade auf dem Ibbenbürener Friedhof stehen und von braunen Eichenblättern bedecktes, kaltes, nasses Moos als Sinnbild ihres Artikels entdecken. Als ob der Ort der Vergewaltigung das eigentlich Schreckliche an dieser Tat wäre.
“Vor einiger Zeit standen hier noch weitere Gräber.”
Früher war mehr Lametta, Alkohol macht Birne hohl und morgen ist auch noch ein Tag. Warum man überhaupt die Stehgräber in Ibbenbüren abgeschafft hat — ein weiteres Rätsel. Aber bleiben wir beim Text.
Der ist auch deswegen so preiswürdig, weil nach dem Inhalt auch die Grammatik aus dem Gleis hüpft:
Nun dürfte die Debatte nun von neuem beginnen wird (…)
Schütteln Sie sich mal selbst den Satz so, dass er passt.
(…) parallel zur Diskussion über die Vergewaltigung und mutmaßliche Ermordung einer Studentin durch einen 17-jährigen Flüchtling in Freiburg.
hofft orakelt die Journalistin, deren Spürnase nicht entgeht:
Selbst in Boulevardmedien sind keine Informationen zu finden, die über die Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft hinausgehen – alle halten dicht.
Nicht so unsere Bildzeitungsleserin Journalistin: Sie deckt auf, wenn Übersichtstafeln schmutzig sind und unbeteiligte Passanten Beweise vernichten Laub wegharken.