Die Kostenloskultur im Internet

Open source
Foto: Jose Anto­nio Gelado

Vie­len Men­schen ist es ein Dorn im Auge, dass es im Inter­net Dinge gibt, für die man nichts direkt bezahlen muss. Am Woch­enende wurde Jaron Lanier der Frieden­spreis des Deutschen Buch­han­dels ver­liehen. Er und sein Lauda­tor Mar­tin Schulz sind der Mei­n­ung, dass in dieser Kosten­loskul­tur die Wurzel eines Übels steckt. Was meinen sie damit?

Jaron Lanier ist besorgt darüber, dass viele Men­schen Arbeit ins Inter­net, d.h. in Pro­gramme und Inter­net­seit­en, steckt, wodurch anderen die Gele­gen­heit genom­men würde, mit ver­gle­ich­baren Leis­tun­gen im Inter­net Geld zu verdienen:

Gute tech­nol­o­gis­che Neuerun­gen müssen sowohl die Leis­tung als auch die Würde der Erbringer verbessern.

Ander­er­seits meint er, dass Inter­net­seit­en wie Wikipedia eine Schwarmintel­li­genz über die des Einzel­nen stell­ten. Wikipedia ver­bre­ite nur “die Durch­schnittsmei­n­ung ein­er anony­men Masse.”

Ich habe keine Ahnung, was es beuten soll, dass ich mit einem Pro­dukt die Würde eines anderen verbessern kön­nte. Und ich kann der Kri­tik an Wikipedia auch nichts abgewin­nen. Natür­lich sind nicht alle Artikel in der Wikipedia gut, aber einige. Dage­gen sind kostenpflichtige Konkur­ren­zpro­duk­te nicht unbe­d­ingt über­legen: So kann man seit Jahren in der Ency­clo­pe­dia Bri­tan­ni­ca lesen, dass Angela Merkel 1978 ihren Dok­tor gemacht habe. Dass das nicht stimmt, kann man in der Wikipedia nach­le­sen.

Und so lassen Kri­tik­er von Jaron Lanier an ihm auch kaum ein gutes Haar:

In der Tat wirken Laniers Büch­er mit heißer Nadel gestrickt. Sie sind laien­haft in ihrer Ver­wen­dung poli­tis­ch­er und philosophis­ch­er Begriffe. Lanier hat wed­er das intellek­tuelle Kaliber eines Net­za­k­tivis­ten wie des Jurapro­fes­sors Eben Moglen oder ein­er kri­tis­chen Medi­en­the­o­retik­erin wie Wendy Chun. Die Zeit lehnt sich sehr weit aus dem Fen­ster, wenn sie Lanier zu einem “der pro­fil­iertesten Intellek­tuellen ein­er inter­netkri­tis­chen Avant­garde” krönt. Es scheint, als ob sich das deutsche Feuil­leton jeman­den zu dem Net­zkri­tik­er zurecht­biegt, den es gerne hätte.

Denn auch Laniers ange­bliche Wand­lung vom Sil­i­con Val­ley-Saulus zum skep­tis­chen Paulus ist Jour­nal­is­ten­fan­tasie. Von Atari in den achtziger Jahren bis zu Microsoft heute war Lanier immer Teil der Computerindustrie.

Lauda­tor Mar­tin Schulz hat etwas anderes im Sinn: Ein­er­seits möchte er Jason Lanier huldigen, indem er auch vom Übel der Kosten­loskul­tur spricht, ander­er­seits möchte er deutsche Unternehmen bauch­pin­seln, denen ein wet­tbe­werb­s­fähiges Konzept für das Inter­net fehlt:

es sind die Schrift­stel­lerin­nen, Musik­er, Filmemacherin­nen, Inge­nieure, Pro­gram­mier­er, Jour­nal­is­ten und andere Kreative, die die Inhalte erdenken, die sich im Netz find­en. Kurz: Es sind Men­schen, die das Alles schaf­fen und die dem Geschaf­fe­nen erst Sinn ver­lei­hen. Deshalb ist es auch nicht hin­nehm­bar, dass nur einige Wenige mit diesen kul­turellen Leis­tun­gen Mil­liar­dengewinne machen, während manch­er Urhe­ber eines Werkes leer aus­ge­ht. Eine schöpferische Leis­tung sollte wert­geschätzt wer­den und wir soll­ten nicht dem Mythos erliegen, als gäbe es irgen­det­was umson­st im Netz.

Es gibt aber Dinge umson­st im Netz: Den Brows­er den man ger­ade ver­wen­det, kann man gar nicht käu­flich erwer­ben. Das Com­put­er­be­trieb­ssys­tem Lin­ux hat es immer frei ver­füg­bar gegeben. Es gibt kosten­freie Musik im Inter­net. Es gibt Mil­lio­nen Men­schen, die sich mit­teilen wollen, und hierzu Inhalte online stellen, ohne dafür Geld zu ver­lan­gen. Dies ist kein Mythos, dies ist eine ein­fach zu ver­ste­hende Tat­sache: Man muss nur ein paar Dinge auf­sagen, wie ich es ger­ade getan habe, um ihn zu belegen.

Es gibt eigentlich nur einen Grund, weswe­gen Mar­tin Schulz einen solch furcht­bar dum­men Satz sagt: Um Fir­men­vertretern in ihrer Mei­n­ung, das Inter­net bestünde haupt­säch­lich aus wider­rechtlich online gestell­ten Inhal­ten, auf die Schul­ter zu klopfen.

Natür­lich gibt es diese wider­rechtlich online gestell­ten Inhalte. Mit­tler­weile zeigt aber auch die Erfahrung, dass, wenn ein Geschäftsmod­ell vorhan­den ist, mit diesen Inhal­ten seit­ens der betrof­fe­nen Ver­mark­ter Geld zu ver­di­enen ist. Allerd­ings hat man lange damit gewartet, der­ar­tige Geschäftsmod­elle zu etablieren, so dass ille­gale Plat­tfor­men flo­ri­eren. Aber das ist nicht neu: Ich erin­nere mich, dass ich einen Kas­ten voll mit C64-Disket­ten hat­te, in dem sich nicht ein einziges, legal erwor­benes befand. Die kon­nte man damals vor Ort nicht mal erwer­ben, wollte man sie haben, musste über Fre­unde getauscht wer­den. Das Prob­lem der heuti­gen Zeit liegt darin, dass man schneller und weit ver­bre­it­eter tauschen und beziehen kann.

Sowohl Lanier wie auch Schulz lassen schlicht unter den Tisch fall­en, dass die so genan­nte Kosten­loskul­tur ein Entwick­lungs­beschle­u­niger ist: Man nutzt ver­wen­det heutzu­tage Brows­er, Textver­ar­beitung­spro­gramme, E‑Mail-Pro­gramme, Chat-Pro­gramme, Musik-Pro­gramme, Grafikpro­gramme oder ganze Betrieb­ssys­teme häu­fig als Ein­stieg, um eine bes­timmte Tech­nolo­gie ken­nen zu ler­nen. Oder um mit anderen Men­schen in Kon­takt zu treten. Keines dieser Pro­gramme wurde von irgend­je­man­dem alleine hergestellt.

Im Gedanken der Kosten­loskul­tur, d.i. der Open-Source-Bewe­gung, ist nicht grund­sät­zlich zu find­en, dass jed­er Inhalt kosten­los zur Ver­fü­gung sein muss, auch wenn sich viele daran gewöh­nt haben, und es erwarten. Er bedeutet zunächst nur, dass ich viele Pro­duk­te kosten­frei ver­wen­den kann. Diesem Gedanken unterzu­jubeln, dass er Geset­zesübertre­tun­gen befördere oder Men­schen um ihre Erwerb­smöglichkeit brächte, erscheint mir unge­mein lächerlich.
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[ Foto: Jose Gela­do unter Cre­ative Com­mons 2.0 Lizenz: https://www.flickr.com/photos/jagelado/16631508 ]

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