Vielen Menschen ist es ein Dorn im Auge, dass es im Internet Dinge gibt, für die man nichts direkt bezahlen muss. Am Wochenende wurde Jaron Lanier der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Er und sein Laudator Martin Schulz sind der Meinung, dass in dieser Kostenloskultur die Wurzel eines Übels steckt. Was meinen sie damit?
Jaron Lanier ist besorgt darüber, dass viele Menschen Arbeit ins Internet, d.h. in Programme und Internetseiten, steckt, wodurch anderen die Gelegenheit genommen würde, mit vergleichbaren Leistungen im Internet Geld zu verdienen:
Gute technologische Neuerungen müssen sowohl die Leistung als auch die Würde der Erbringer verbessern.
Andererseits meint er, dass Internetseiten wie Wikipedia eine Schwarmintelligenz über die des Einzelnen stellten. Wikipedia verbreite nur “die Durchschnittsmeinung einer anonymen Masse.”
Ich habe keine Ahnung, was es beuten soll, dass ich mit einem Produkt die Würde eines anderen verbessern könnte. Und ich kann der Kritik an Wikipedia auch nichts abgewinnen. Natürlich sind nicht alle Artikel in der Wikipedia gut, aber einige. Dagegen sind kostenpflichtige Konkurrenzprodukte nicht unbedingt überlegen: So kann man seit Jahren in der Encyclopedia Britannica lesen, dass Angela Merkel 1978 ihren Doktor gemacht habe. Dass das nicht stimmt, kann man in der Wikipedia nachlesen.
Und so lassen Kritiker von Jaron Lanier an ihm auch kaum ein gutes Haar:
In der Tat wirken Laniers Bücher mit heißer Nadel gestrickt. Sie sind laienhaft in ihrer Verwendung politischer und philosophischer Begriffe. Lanier hat weder das intellektuelle Kaliber eines Netzaktivisten wie des Juraprofessors Eben Moglen oder einer kritischen Medientheoretikerin wie Wendy Chun. Die Zeit lehnt sich sehr weit aus dem Fenster, wenn sie Lanier zu einem “der profiliertesten Intellektuellen einer internetkritischen Avantgarde” krönt. Es scheint, als ob sich das deutsche Feuilleton jemanden zu dem Netzkritiker zurechtbiegt, den es gerne hätte.
Denn auch Laniers angebliche Wandlung vom Silicon Valley-Saulus zum skeptischen Paulus ist Journalistenfantasie. Von Atari in den achtziger Jahren bis zu Microsoft heute war Lanier immer Teil der Computerindustrie.
Laudator Martin Schulz hat etwas anderes im Sinn: Einerseits möchte er Jason Lanier huldigen, indem er auch vom Übel der Kostenloskultur spricht, andererseits möchte er deutsche Unternehmen bauchpinseln, denen ein wettbewerbsfähiges Konzept für das Internet fehlt:
es sind die Schriftstellerinnen, Musiker, Filmemacherinnen, Ingenieure, Programmierer, Journalisten und andere Kreative, die die Inhalte erdenken, die sich im Netz finden. Kurz: Es sind Menschen, die das Alles schaffen und die dem Geschaffenen erst Sinn verleihen. Deshalb ist es auch nicht hinnehmbar, dass nur einige Wenige mit diesen kulturellen Leistungen Milliardengewinne machen, während mancher Urheber eines Werkes leer ausgeht. Eine schöpferische Leistung sollte wertgeschätzt werden und wir sollten nicht dem Mythos erliegen, als gäbe es irgendetwas umsonst im Netz.
Es gibt aber Dinge umsonst im Netz: Den Browser den man gerade verwendet, kann man gar nicht käuflich erwerben. Das Computerbetriebssystem Linux hat es immer frei verfügbar gegeben. Es gibt kostenfreie Musik im Internet. Es gibt Millionen Menschen, die sich mitteilen wollen, und hierzu Inhalte online stellen, ohne dafür Geld zu verlangen. Dies ist kein Mythos, dies ist eine einfach zu verstehende Tatsache: Man muss nur ein paar Dinge aufsagen, wie ich es gerade getan habe, um ihn zu belegen.
Es gibt eigentlich nur einen Grund, weswegen Martin Schulz einen solch furchtbar dummen Satz sagt: Um Firmenvertretern in ihrer Meinung, das Internet bestünde hauptsächlich aus widerrechtlich online gestellten Inhalten, auf die Schulter zu klopfen.
Natürlich gibt es diese widerrechtlich online gestellten Inhalte. Mittlerweile zeigt aber auch die Erfahrung, dass, wenn ein Geschäftsmodell vorhanden ist, mit diesen Inhalten seitens der betroffenen Vermarkter Geld zu verdienen ist. Allerdings hat man lange damit gewartet, derartige Geschäftsmodelle zu etablieren, so dass illegale Plattformen florieren. Aber das ist nicht neu: Ich erinnere mich, dass ich einen Kasten voll mit C64-Disketten hatte, in dem sich nicht ein einziges, legal erworbenes befand. Die konnte man damals vor Ort nicht mal erwerben, wollte man sie haben, musste über Freunde getauscht werden. Das Problem der heutigen Zeit liegt darin, dass man schneller und weit verbreiteter tauschen und beziehen kann.
Sowohl Lanier wie auch Schulz lassen schlicht unter den Tisch fallen, dass die so genannte Kostenloskultur ein Entwicklungsbeschleuniger ist: Man nutzt verwendet heutzutage Browser, Textverarbeitungsprogramme, E‑Mail-Programme, Chat-Programme, Musik-Programme, Grafikprogramme oder ganze Betriebssysteme häufig als Einstieg, um eine bestimmte Technologie kennen zu lernen. Oder um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Keines dieser Programme wurde von irgendjemandem alleine hergestellt.
Im Gedanken der Kostenloskultur, d.i. der Open-Source-Bewegung, ist nicht grundsätzlich zu finden, dass jeder Inhalt kostenlos zur Verfügung sein muss, auch wenn sich viele daran gewöhnt haben, und es erwarten. Er bedeutet zunächst nur, dass ich viele Produkte kostenfrei verwenden kann. Diesem Gedanken unterzujubeln, dass er Gesetzesübertretungen befördere oder Menschen um ihre Erwerbsmöglichkeit brächte, erscheint mir ungemein lächerlich.
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[ Foto: Jose Gelado unter Creative Commons 2.0 Lizenz: https://www.flickr.com/photos/jagelado/16631508 ]